Trans*_Nichtbinär

Trans*im Recht

Ob als Begleitung bei Behördengängen oder als Beistand bei der Bewältigung von Anträgen: Als sorgeberechtigte oder nahestehende Person können Sie jungen trans* und nichtbinären Menschen helfen, sich über ihre Rechte im Klaren zu werden und sie einzufordern.

Sie können Ihre Unterstützung dabei auf vielfältige Art und Weise zeigen: Beispielsweise können Sie die betroffene Person im Prozess einer möglichen Namens- und Personenstandsänderung entlasten.

Stimmen Name und zugewiesenes Geschlecht nicht mit Geschlechtsidentität und/ oder Geschlechtsausdruck überein, kann das zu belastenden Situationen führen: von Misgendering (die Verwendung falscher Pronomen oder einer falschen Anrede) bis hin zu körperlicher und verbaler Gewalt.  

Viele – aber nicht alle – trans* und nichtbinären Personen streben auch aus diesem Grund eine Namens- und Personenstandsänderung an.

Die Rechtslage in Deutschland

Das Grundgesetz (GG)

Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes besagt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“1 

Allerdings findet sich im GG kein Passus, der die Diskriminierung einer Person aufgrund der „sexuellen Identität“ verbietet. Ein solches Verbot findet sich aber im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG genannt.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Ziel des AGG (umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz) ist es, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“2

Auch wenn der hier verwendete Begriff „Sexuelle Identität“ und nicht Geschlechtsidentität lautet, schließt das AGG trans* und inter*Personen explizit mit ein.3 Allerdings werden im Gesetzestext immer noch binäre, veraltete oder pathologisierende Bezeichnungen für geschlechtliche Vielfalt verwendet.

Persönlichkeitsrechte

Wie alle Menschen besitzen Kinder und Jugendliche Grundrechte und Persönlichkeitsrechte. Von besonderer Bedeutung für die Belange von trans* und nichtbinären Menschen ist hierbei vor allem das Recht auf Selbstbestimmung. Es ist im Grundgesetz verankert und soll die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ermöglichen4.

Somit sollte es trans* und nichtbinären Personen eigentlich per Verfassung zustehen, den Vornamen, die Pronomen und den Geschlechtsausdruck zu wählen, die sie für sich als stimmig empfinden. Um diesem Gesetz allerdings Geltung verschaffen zu können – und das ohne langwieriges Verfahren, hohe finanzielle Belastungen oder Zwangsouting – müsste es ein einfach zugängliches Selbstbestimmungsgesetz geben.

Aktuell ist dieser Prozess für viele trans* und nichtbinäre Menschen mit erheblichen Anstrengungen und Mühen verbunden.

Was ist ohne Namens- und Personenstandsänderung möglich?

Klassenliste, Schulausweis oder die Dauerkarte fürs Stadion – all diese Dokumente können ohne offizielle Namensänderung auf einen neuen Namen ausgestellt werden. Allerdings sind Kitas, Schulen, Sportvereine oder andere Institutionen dazu ohne offizielles Verfahren nicht verpflichtet. 5+6

Bezüglich des Zugangs zu WCs, oder Umkleidekabinen, bei denen eine Einteilung nach angenommener geschlechtlicher Zugehörigkeit erfolgt gibt es ebenfalls keine rechtliche Grundlage, die es vorschreibt trans* und nichtbinären Menschen den Zugang zu selbst gewählten Räumlichkeiten zu ermöglichen oder zu verwehren. Deswegen sind trans*und nichtbinäre Personen auch in diesen Situationen auf das Wohlwollen Anderer angewiesen.

Hier können Sie als Bezugsperson unterstützen, wenn dies gewünscht wird: Sprechen Sie mit den verantwortlichen Stellen. Informieren Sie sich und andere über die entsprechenden Rechtsgrundlagen und Handlungsempfehlungen7 und setzen Sie sich aktiv für die Bedürfnisse von trans* und nichtbinären Kindern und Jugendlichen ein.

Als Argumentationshilfe können zum Beispiel die Infobroschüre Trans* und Schule (Schlau NRW) sowie die Einschätzung der rechtlichen Situation von trans* Kindern- und Jugendlichen (Augstein) und die rechtliche Einschätzung Verwendung des gewählten Namens von trans* Studierenden an Hochschulen unabhängig von einer amtlichen Namensänderung (Antidiskriminierungsstelle des Bundes) herangezogen werden.

Tipp: Der Ergänzungsausweis

Ein gutes Hilfsmittel für den Alltag kann der Ergänzungsausweis der dgti e.V. sein:

„Der dgti-Ergänzungsausweis ist ein standardisiertes Ausweispapier, das alle selbst gewählten personenbezogenen Daten dokumentiert und ein aktuelles Passfoto zeigt (nicht zwingend biometrisch). Bei sämtlichen Innenministerien, Polizei, vielen Behörden, Banken, Universitäten, Versicherungen und anderen Stellen ist er bekannt und akzeptiert.“8

Dieser Ausweis ist in Verbindung mit dem amtlichen Personalausweis gültig, kann online angefordert werden und kostet zurzeit 19,90 Euro. (stand: 06.22)

Rechtliche Änderung von Vorname und Personenstand: Das TSG

Entscheidet sich eine Person dazu, ihr „rechtliches Geschlecht“ und ihren Vornamen zu ändern, hat sie aktuell die Möglichkeit einen Antrag nach dem sogenannten „Transsexuellengesetz” (TSG) zu stellen.   

Die Verfahrensdauer kann unterschiedlich lang ausfallen. Sie ist von der Auslastung des Gerichts und der Zeit die für das Einholen und die Erstellung der Gutachten benötigt wird, abhängig. In der Regel kann mit 6-12 Monaten gerechnet werden.

Die Gesamtkosten der Namens- und Personenstandsänderung ergeben sich aus den Gerichtskosten und den Kosten für die Gutachten. Es gibt hierfür keine verbindlichen Grenzen. Laut einem Gutachten der Berliner Humboldt Universität zum "Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen" betragen die Gesamtkosten durchschnittlich 1.868 Euro pro TSG-Verfahren.7


Checkliste: Wie funktioniert ein Antrag nach dem TSG?

1. Formlosen Antrag beim Amtsgericht stellen

Dieser enthält die Vornamen und den Geschlechtseintrag, welche die antragstellende Person in Zukunft führen will. Außerdem können Vorschläge für fachkundige und trans*sensible Gutachter*innen für den weiteren Verlauf gemacht werden. Sofern die antragstellende Person die anfallenden Kosten für Gericht und Gutachten nicht tragen kann, ist es sinnvoll schon zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zu stellen.

Ein Beispiel dafür, wie so ein Antrag aussehen kann, finden Sie z. B. in der Rubrik Formulare im Queerlexikon.

Auch Minderjährige können einen Antrag nach dem TSG stellen. Sie gelten aber bis auf wenige Ausnahmen als prozessunfähig. Daher müssen sie für ein Gerichtsverfahren entweder die Genehmigung der sorgeberechtigten Person(en) vorweisen oder eine gesetzliche Vertretung in Anspruch nehmen. Eine solche Genehmigung kann z.B. in Form einer durch die sorgeberechtigten Personen unterschriebenen Erklärung nachgewiesen werden.

Das Amtsgericht meldet sich daraufhin schriftlich zurück und nennt die Gutachter*innen, die für den Prozess beauftragt wurden (meist werden die im Antrag gewünschten Sachverständigen bestätigt). An dieser Stelle muss ein Vorschuss für die Gutachten gezahlt werden.


2. Gutachten einholen

Dem Antrag darf nur stattgegeben werden, nachdem die trans* bzw. nichtbinäre Person zwei Gutachten eingeholt hat10. Ein Gutachten entsteht aus jeweils (mindestens) einem Gespräch mit den durch das Amtsgericht bestimmten Sachverständigen. Mit Verweis auf den Antrag und die Rückmeldung des Amtsgerichts, kann der*die Antragssteller*in Termine für die Gutachten vereinbaren.

Anmerkung:
In dem meisten Fällen fallen die Gutachten positiv, also zu Gunsten der antragsstellenden Person, aus. Trotzdem ist dieser Prozess für viele trans* und nichtbinäre Personen belastend. Er dauert mitunter mehrere Monate und wird von vielen Betroffenen als sehr entwürdigend empfunden, unter anderem da er ein selbstbestimmtes vorgehen verunmöglicht und die Expertise über das eigene Geschlecht nicht anerkennt.  

Nicht selten müssen trans* und nichtbinäre Menschen sich mit Gutachter*innen auseinandersetzen, die wenig bis gar nicht für trans* und queere Themen sensibilisiert sind. Ihnen werden dann z.B. übergriffige Fragen gestellt, oder die Gutachter*innen orientieren sich bei ihren Einschätzungen an Stereotypen über "männliches" und "weibliches" Verhalten.

Für den möglichst positiven Verlauf des Verfahrens kann die Auswahl der Gutachter*innen also eine entscheidende Rolle spielen. Hier können Sie wertvolle Mithilfe leisten; Recherchieren Sie bei Beratungsstellen und Initiativen in Ihrer Umgebung nach Empfehlungen für Gutachter*innen.
Nicht nur bei der Suche nach geeigneten Gutachter*innen können Sie behilflich sein. Signalisieren Sie ihrem Kind, oder Jugendlichen, dass sie da sind. Hören Sie zu, wenn sich der junge Mensch an Sie wendet und nehmen Sie die ggf. berichteten Ängste und Diskriminierungserfahrungen ernst. Auch die Freude über den positiven Ausgang eines Gutachtens kann gefeiert werden. Überlegen Sie ggf. gemeinsam wie Sie den Prozess möglichst angenehm gestalten können.


3. Gerichtliche Verhandlung des Antrags

Nach Erstellung der Gutachten hört das zuständige Gericht die antragstellende Person persönlich an. Danach wird über den Antrag entschieden. Bei Ablehnung kann Widerspruch eingelegt oder ein neuer Antrag gestellt werden.

Bei Minderjährigen Antragssteller*innen müssen hier auch die sorgeberechtigten Personen, oder die gesetzliche Vertretung anwesend sein.


4. Änderung bzw. Anpassung der (amtlichen) Dokumente

Mit dem erfolgreichen Ausgang des Verfahrens werden die im Antrag genannten Vornamen und der Geschlechtseintrag rechtskräftig. Von diesem Zeitpunkt an kann durchgesetzt werden, dass die genannten Angaben überall verwendet werden, ob in der Schule, im Ausbildungsbetrieb oder in offiziellen Briefen von Behörden. Dies gilt auch für Bank- oder Krankenkassenkarten.
Darüber hinaus ist auch eine nachträgliche Änderung von wichtigen Dokumenten, wie beispielsweise alten Schulzeugnissen, Mitgliedsausweisen oder Verträgen, möglich.     

Amtliche Dokumente wie Personalausweis oder Reisepass können nun ebenfalls geändert bzw. angepasst werden.

Fragen Sie die junge trans* oder nichtbinäre Person, ob Sie bei der Beantragung und Organisation der Namens- und Personenstandänderung behilflich sein können. Beispielsweise könnten Sie Tipps für die Formulierung von Anschreiben geben.  

Eine Liste mit Dokumenten die nach der (Namens- und) Personenstandsänderung geändert werden können hat z.B. der Trans-Kinder-Netz e.V. zusammengestellt. Sie finden das Dokument hier.

Rechte von (minderjährigen)  trans* und nichtbinären Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft

Nach dem TSG können auch folgende Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit einen Antrag auf Namens- und Personenstandänderung stellen:

- staaten- oder heimatlose Personen, deren gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland ist
- asylberechtigte oder geflüchtete Personen mit Wohnsitz in Deutschland
- ausländische Personen, deren Herkunftsland keine mit dem TSG vergleichbare Regelung kennt
- Personen mit unbefristetem Aufenthaltsrecht oder verlängerbarer Aufenthaltserlaubnis, die sich dauerhaft rechtmäßig in Deutschland aufhalten

Unbegleitete minderjährige Personen müssen unter Umständen eine gesetzliche Vertretung in Anspruch nehmen. Dabei spielt neben dem Aufenthaltsstatus auch das Alter eine Rolle: Als „fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen” gelten nach § 12 Abs. 1 AsylVfG in der Regel Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben.11

Es empfiehlt sich in einem solchen Fall unbedingt, fachkundige Hilfe oder eine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen. Weitere nützliche Hinweise und wertvolle Informationen für queere, trans*und nichtbinäre Personen mit Flucht- und Migrationshintergrund finden Sie auch bei Queer Refugees Deutschland,  oder in der Broschüre Trans*Geflüchtete Willkommen (rubicon und LaKo Trans* NRW, 2020), die in mehreren Sprachen erhältlich ist.

Ausblick: Das Selbstbestimmungsgesetz

Bereits seit vielen Jahren wird die Abschaffung des TSG gefordert. Denn das TSG steht nicht nur wegen des irreführenden und pathologisierenden Namens in der Kritik: Viele Teile des TSG wurden mittlerweile als verfassungswidrig eingestuft. Aber auch das aktuelle TSG verletzt die Würde von trans* und nichtbinären Personen.

Hoffnung auf eine baldige Umsetzung eines Selbstbestimmungsgesetzes macht aktuell vor allem die Aufnahme dieser Forderung in den Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und der FDP Ende des Jahres 2021:

               Wir werden das Transsexuellengesetzabschaffen und durch ein                Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Dazu gehören einVerfahren beim Standesamt,                das Änderungen des Geschlechtseintrags imPersonenstand grundsätzlich per                Selbstauskunft möglich macht, ein erweitertesund sanktionsbewehrtes                Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs-und Beratungsangebote.                 (Koalitionsvertrag 21-25, S.19)

Ob und wann dieses neue Gesetz verabschiedet wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Ein finaler Gesetzesentwurf liegt noch nicht vor. Trans*, queere und nicht-binäre Initiativen und Verbände fordern eine schnelle Umsetzung dieser Wahlversprechen.


Zum weitergucken:

Dokumentation „Ab heute. Der lange Weg zum eigenen Namen.“
Von Sophia Emmerich und Sam Arndt (2021)